Liebe Alix, du warst schon zweimal auf Einladung unserer DAV-Sektion in Göttingen. Welche Erinnerungen verbindest du mit unserer Stadt oder der Region Südniedersachsen?
Ich erinnere mich genau an die beiden Vorträge für die DAV Sektion Göttingen und fühle mich sehr geehrt, dass ich wieder kommen darf. Einmal war ich alleine bei Euch, einmal habe ich zusammen mit meinem Mann Luis unseren 8000er-Vortrag gehalten. Beide Male hatten wir tolles Publikum und eine liebevolle Betreuung vor Ort durch die DAV-Sektion. Wenn ich die Augen schließe und an Göttingen denke, dann habe ich Bilder von wunderschönen Fachwerkhäusern vor Augen. Und ich habe genau im Kopf, wie uns die DAV-Sektion nach dem Vortrag „einen Rucksack voller guter Wünsche für die nächsten Expeditionen“ geschenkt hat.
Nach deinem Vortrag in Göttingen geht es für dich weiter nach Berlin und Hamburg - in dieser Reihe der Metropolen können wir uns doch wohlfühlen! Hältst du dort - jeweils bei Globetrotter - den gleichen Vortrag wie bei uns oder variierst du die Themen, vielleicht nach speziellen Veranstalterwünschen oder -interessen?
Ich halte in Göttingen, Berlin und Hamburg den gleichen Vortrag, meine aktuelle Multivisionsshow mit dem Titel „8000 drunter & drüber“. Aber in jeder Stadt ist das Publikum ein anderes und ich freue mich immer auf die unterschiedlichen Menschen, die dann auch nach dem Vortrag unterschiedliche Fragen an mich haben.
Du bist in Hamburg geboren, da liegt das Bergsteigen nicht unbedingt nahe. Wann / wo / wodurch bist du zur Bergsteigerin geworden?
Ich bin schon als kleines Mädchen vor Schulbeginn Ski gefahren, aber mit dem Bergsteigen habe ich erst während des Studiums in München angefangen. Dort habe ich dann meinen späteren Mann Luis kennengelernt. Durch ihn bin ich zum Höhenbergsteigen gekommen.
D.h. du bist nicht nur Bergsteigerin sondern Höhenbergsteigerin, eine der erfolgreichsten in Deutschland noch dazu. Bis in welche Höhen müsste ich denn vordringen, um mich Höhenbergsteiger nennen zu können?
Man unterscheidet Trekking Peaks und Expedition Peaks. Erstere bewegen sich meist in Höhen bis maximal 6.500 Metern, sind technisch eher leichter als Expedition Peaks und direkt vom Basislager aus zu besteigen oder mit maximal einem Hochlager. Expedition Peaks haben meist eine Höhe von mindestens 6.000 oder 6.500 Metern, sind technisch oft anspruchsvoller und benötigen wegen der umfangreicheren Akklimatisierung und durch die Verwendung von mehreren Hochlagern deutlich mehr Zeit.
Wie muss ich mir die Vorbereitung auf eine solche Expedition zu einem Sieben- oder Achttausender vorstellen, organisatorisch, zeitlich, aber auch finanziell?
Ich war immer im klassischen Expeditionsstil unterwegs. Ich nehme mir immer nur ein Expeditionsziel pro Jahr vor, trainiere dafür meist ein halbes Jahr in den heimischen Alpen, akklimatisiere mich vor Ort auf dem Trekking und am Berg und verwende keinen künstlichen Sauerstoff. Auch die Organisation benötigt einige Monate Vorlauf: Zusammenstellung des Expeditionsteams, Beantragung des Permits für den Berg, Angebote von Trekking-Agenturen vor Ort einholen, Flüge buchen, Ausrüstung checken. Meine Expeditionen finanziere ich mir durch Vorträge und durch die Partnerschaft mit Sponsoren.
Auf dem Mount Everest zu stehen ist für unterschiedlichste Menschen ein Traum. Manche davon haben zwar kaum Erfahrung in den Bergen, aber mit Geld, viel Geld machen Anbieter auch solche ‘Expeditionen’ möglich, da geht es um höhere fünfstellige Beträge pro Teilnehmer/-in. Du warst ohne künstlichen Sauerstoff auf 7 Achttausendern - wie stehst du zu diesem schon beinahe Massentourismus?
Ich denke, das muss jeder für sich entscheiden, wie er / sie einen hohen Berg besteigen möchte. Für mich kam die Verwendung von künstlichem Sauerstoff nie in Frage. Aber ich verstehe es auch, dass man sich die Besteigung des höchsten Berges der Welt erfüllen möchte. Einfach weil der Mount Everest der höchste Berg der Welt ist, ist er eben auch das Objekt der Begierde vieler Menschen. Wenn man dorthin fährt, weiß man, dass man da nicht alleine unterwegs ist. Das ist man in den Alpen an der Zugspitze aber auch nicht. Für diejenigen, die es ruhiger mögen, gibt es nach wie vor wunderschöne, aber eben weniger prestigeträchtige Berge als den Mount Everest.
Mehr als 330 Menschen haben bisher allein am Everest ihr Leben verloren, fast 100 am K2. Dein Mann Luis starb 2023 am Kangchendzönga in Nepal - was gibt dir die Kraft weiterzumachen, auch weiter in den Bergen unterwegs zu sein?
Für mich sind die Berge mein Kraftort und irgendwie der Ort, wo ich Luis am nächsten bin. Es stand für mich nach seinem Tod überhaupt nicht zur Diskussion, ob ich weiter bergsteige oder nicht. Mein Trauerweg führt durch die Berge und sie tun mir gut.
Von den Toten am Everest wurden bisher nur rund ein Drittel geborgen. Was bedeutet es für dich, dass du dich nach der Bergung, die ihr ja eigentlich nicht vorgesehen hattet, von Luis in Kathmandu verabschieden konntet?
Tatsächlich war für mich die Verabschiedung von Luis in Kathmandu ein ganz wichtiger Step auf meinem Trauerweg und ich bin unendlich dankbar dafür, dass ich ihn nochmal sehen durfte. Da habe ich wirklich begriffen, dass Trauer-Rituale absolut Sinn machen. Die Reise nach Kathmandu war für mich die traurigste, skurilste, aber auch die wichtigste meines Lebens.
Was sind deine nächsten bergsteigerischen Ziele? Willst du noch einmal auf einem Achttausender stehen - wenn ja, welcher sollte es sein?
Ich war - nach Luis Tod - im Herbst 2024 wieder auf Expedition, an einem einsamen Siebentausender in Nepal. Da habe ich gemerkt, dass mir das noch Spaß macht und dass ich Höhe immer noch gut kann. Dieses Jahr geht sich wegen der großen Nachfrage nach meinem Vortrag zeitlich leider keine Expedition aus. Aber im Herbst 2026 will ich auf jeden Fall wieder nach Nepal. Durch Luis Tod dort fühle ich mich dem Land noch viel mehr verbunden als früher und habe einfach das Bedürfnis, ein Mal im Jahr dorthin zu reisen.
Ob es nochmal ein 8000er wird, weiß ich noch nicht. Ich fühle mich körperlich aktuell topfit, aber natürlich werde ich auch nicht jünger. Es gibt aber auch noch einige Sechs- und Siebentausender, die ich gerne besteigen möchte. Bergziele gehen mir definitiv nicht aus. Egal, ob über oder unter 8000 Meter Höhe.
Liebe Alix, ich bedanke mich ganz herzlich für die Beantwortung meiner Fragen und freue mich sehr auf deinen Vortragsabend am 19. November im ZHG Göttingen!
(Carl-Michael Wieder, Vortragswart der DAV-Sektion Göttingen)